Datenkraken

Die Voraussagen sind eingetroffen. Als ich vor knapp drei Jahren das Buch „Data and Goliath“ von Bruce Schneier las, schien das Thema noch irgendwie surreal. Schneier sollte man kennen. Schließlich wandte sich der U.S. Kongress an ihn, als es darum ging, die Leaks von Edward Snowden  zu interpretieren. Dem gelernten Physiker und Informatiker verlieh die British Telecom den Titel „Sicherheits-Futurologe“ und er ist für zwei Zitate bekannt:

"If you think technology can solve your security problems, then you don’t understand the problems and you don’t understand the technology."

Signifikanter noch ist sein Spruch:

Amateurs hack systems, professionals hack people.

Was hat es auf sich, mit dem „People.Hacking“? Spannender und weniger technisch liest sich das Buch des auf Cyberkriminalität spezialisierten Ex-Polizisten Marc Goodman „Future Crimes“, das auch ins Deutsche übersetzt ist, erhältlich unter dem Titel „Global Hack“. Zusammengefasst geht es dabei um Kriminelle, die gerade erst damit beginnen, die Möglichkeiten des Internets auszuloten, aber auch um Regierungen, die Bürger ausspähen und vor allem um die Giganten im Silicon Valley, die professionelles „People-Hacking“ betreiben. Dabei gilt der Leitsatz: „Wenn es nichts kostet, ist man selbst das Produkt“! Die Hoffnung, dass riesige Firmenimperien Endverbrauchern kostenlose Dienste aus der Güte ihrer Herzen heraus heraus anbieten, muss man sich wohl ein für allemal abschminken!

Beispiel Google. Welche Möglichkeiten bieten sich hier, um Persönlichkeitsprofile zu entwickeln, die möglicherweise detaillierter sind, als das, was einem über sich selbst bewusst ist?

  • Adwords und Adsense: Wem ein Artikel oder Thema wie viel wert ist und wer darauf reagiert.
  • Alerts: Welche Themen sind einem wichtig.
  • Analytics: Wer besucht welche Webseiten, was ist das Verhalten von Webmastern und Seitenbesuchern.
  • Android: Ortung, Wege, Nähe zu anderen Android Benutzern und jede Menge Daten, je nach Einstellung, bis hin zu medizinisch relevanten Daten, die Körpersensoren erfassen.
  • Bildersuche: Interessen und Neigungen, wer wird durch optische Eindrücke wie angesprochen.
  • Blogger: Inhalte der Blogeinträge und Daten der Leser.
  • Books: Wer sucht welche Bücher, für welche entscheidet er sich?
  • Kalender: Private und berufliche Termine.
  • Checkout: Persönliche Daten.
  • Desktop Search: Man indiziert alle Daten auf seinem Rechner.
  • Text/Tabellen: Wer arbeitet wann und woran?
  • Earth: Wer schaut sich welche Details auf der Erdoberfläche an?
  • Googlemail: Private und geschäftliche Kontakte, Metadaten, möglicherweise auch Inhalte aller Nachrichten.
  • Groups: Meinungen und Neigungen von Personen.
  • Maps: Wege, Häufigkeiten, Position und Nähe zu anderen Google Benutzern.
  • Reader: Welche Blogs interessieren wen?
  • Suche: Jedes Interesse bleibt möglicherweise für immer gespeichert, Mustererkennung.
  • Talk: Soziale Kontakte.
  • Toolbar: Internetverhalten browserübergreifend.
  • Youtube: Welche Themen interessieren wen, aus Kommentaren sind Neigungen und Überzeugungen zu erkennen.

An den Aquisen von Firmen lassen sich strategische Planungen erkennen. So hat Facebook z. B. das israelische Startup-Unternehmen face.com übernommen und mit FacioMetrics eine zweite Firma, die sich auf Gesichtserkennung spezialisiert, hier auf die Interpretation von Gesichtsausdrücken und Emotionen. Bei den 2,2 Milliarden Nutzern, die jeden Monat in Facebook aktiv sind und Tag für Tag nicht weniger als 300 Millionen Fotos hochladen, bietet es sich natürlich an, die Gesichtserkennung und Zuordnung zu Persönlichkeitsprofilen so weit als irgend möglich zu automatisieren. 

Wozu braucht Facebook so präzise Persönlichkeitsprofile? Sie sind in erster Linie bares Geld wert. Und sie bilden auch einen Hebel bei Verhandlungen. Z. B. möchte Facebook gerne den größten Internetmarkt der Welt für sich erschließen: China. Und so gelangten bisher mindestens vier chinesische Megafirmen an Persönlichkeitsprofile von Facebook. Es mag Unterschiede darin geben, wie angenehm es einem ist, dass chinesische Firmen – und mit ihnen sicherlich auch die Regierung – Zugriff auf zutiefst persönliche Daten haben, auch wenn wir den Kopf in den vermeintlichen Sand stecken und uns immer wieder sagen, wir hätten nichts zu verbergen!

Es heißt, der Zweck der Datensammelei läge in gezielter Werbung, was für den Verbraucher ein Vorteil sei. Aber es ist langweilig, Wochen und Monate nach einem Kauf mit Werbung zu ähnlichen Produkten bombardiert zu werden, auch wenn es zeigt, dass die Suche nach Informationen vor dem Kauf den diversen Datenkraken nicht entgangen ist. Das Ziel ist aber etwas anderes. Man möchte so genannte AI-Systeme (AI=Artificial Intelligence) entwickeln, die Kommendes treffsicher prognostizieren, statt nur Vergangenes zu speichern. Diese Systeme können sich selbst ständig weiter verbessern, indem sie Prognosen erstellen, die sie dann mit den tatsächlichen Ereignissen abgleichen. Werbung soll uns erreichen, bevor wir etwas suchen. Und sie soll Produkte betreffen, bevor uns klar ist, dass wir sie als nächstes begehren könnten. Es ist nur ein kleiner Schritt vom Beobachten zum Eingreifen und lenken!

Das klappt auch heute schon. Umfragen sind out. Datenkraken im Internet können viel genauer herausbekommen, exakt was man welchem Publikum sagen muss, um seinen Willen durchzusetzen, egal, worin dieser besteht. Wie gut das heute schon funktioniert, haben uns die Amerikaner mit ihrer Präsidentenwahl bewiesen!

Jeder muss also für sich selbst festlegen, wo er die Linie zwischen Vorsicht und Paranoia zieht. Leider haben wir es bisher komplett den Riesen im Silicon Valley überlassen, die Strukturen im Internet zu schaffen und es bleibt zu hoffen, dass die Monopole, die dadurch entstanden sind, irgendwann einmal fallen und einem gesunden Konkurrenzkampf Platz machen, bei dem auch der Datenschutz eine Rolle spielt.

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