Prof. Max Lüscher

„Was ist Psyche?“, fragt er und blickt unter seinen buschigen Augenbrauen heraus in die Runde. Schweigen.

Ich hatte Prof. Lüscher zu einem ICCMO Workshop bei der Medizinischen Woche in Baden Baden eingeladen und die Teilnehmer sehen ihn erwartungsvoll an. Ja, was ist Psyche! Wir reden ständig davon, aber plappern wir nur, oder sprechen wir bewusst von etwas, bei dem wir wissen, worum es geht?

LüscherSchöttl

Der Name Lüscher begleitet mich schon seit meiner Jugend, als mein Vater aufgeregt mit einem Buch und Farbkarten von einer Fortbildung zurückkehrte. Jeder in unserer Familie mussten die Farbkarten sortieren, je nachdem, welche einem gefielen und welche nicht. Und danach blätterte mein Vater stundenlang im Buch, um entsprechende Textpassagen zusammenzusuchen. Heraus kam am Schluss etwas, das in eigenartiger Weise stimmte. Ganz so, als betrachte man sich zum ersten Mal wirklich in einem Spiegel, nicht nur mit einem kurzen Blick, ob die Frisur sitzt.

Inzwischen bin ich 50 Jahre älter, aber Prof. Lüscher gibt es immer noch. Vor einiger Zeit habe ich Kontakt mit ihm aufgenommen und wir haben uns viele interessante Emails geschrieben – nun steht er vor mir und sagt „die Psyche ist ein Regulationssystem der Emotionen“. Stimmt, zwar hatte ich bei meinem Studium in den USA selbst etliche Kurse in Psychologie belegt, aber nie wurde darüber gesprochen, was die Psyche ist. Es gibt Psychopharmaka. Heißt das, dass ich mit Chemikalien und Hormonen dann nicht meinen Körper behandle, meine Physis, also, sondern meinen Geist? Plötzlich klingt das alles wie Quatsch. Ebenso die seltsamen sexuellen Phasen in der Kindheit, phallisch, anal usw., die angeblich Dekaden später für auffällige Verhaltensweisen verantwortlich sein sollen. 

Ich habe einige Menschen in den USA gekannt, die regelmäßig zu ihrem „Analysten“ gegangen sind, um sich dort in möglichst schlimmen Erinnerungen zu wälzen. Ich konnte nicht beobachten, dass sich auch nur bei einem von ihnen über die Jahre irgendetwas Signifikantes änderte. Das Problem dürfte weniger sein, wieder und wieder zu durchleben, was mir vor 40 Jahren zugestoßen ist, sondern den Grund dafür zu finden, warum ich damit heute noch immer nicht umgehen kann und mir mein Leben davon versauen lasse. Und hier ist auch der Ansatz der Lüscher’schen Farbdiagnostik. Er möchte emotionale Blockaden aufdecken, die ich, wenn ich sie erst einmal erkannt habe, verändern kann. Meist geht das, wie ich in meinem Buch beschrieben habe, darauf zurück, dass man sich nicht annimmt, sich vorgaukelt, lieber jemand anderes sein zu wollen.

Max Lüscher ist jetzt schon seit 1 ½ Jahren tot. Die Nachricht hat mich im Februar 2017 getroffen. Seither wollte ich ihm ein kurzes „Adieu!“ hinterherschicken und doch haben sich ständig Aufgaben und Projekte vor den Blog-Eintrag geschoben, den ich ihm widmen wollte. 

Auf dem Rückweg von einem Treffen mit einer Kollegin gerade am Wochenende passierte dann etwas Seltsames: ich hatte ich Ärger mit meinem neuen Smartphone. Es wollte meinen Fingerabdruck nicht erkennen, ich solle stattdessen mein Passwort eintippe – beim Fahren! Ja, durch das GPS-Signal weiß es ganz genau, dass ich auf der Autobahn fahre, aber das Smaptphone stellt sich dumm.  Ärgerlich schaltete ich das Ding komplett aus, wenn es mir schon nicht vorspielen will, was ich hören möchte. 

Plötzlich ertönt eine Stimme. Durch die Unterbrechung der Bluetooth-Verbindung hat das Autoradio auf den nächsten Eingang geschaltet, offenbar die Festplatte. Und dort habe ich vor Jahren die von Lüscher selbst gesprochene Audio-Version seines Buchs „Der 4-Farben-Mensch: Wege zum inneren Gleichgewicht“ gespeichert. Und jetzt, lange nach seinem Tod, spricht er plötzlich zu mir aus meinem Autoradio…

Auf dem Heimweg höre ich das Buch vielleicht zum 5. Mal an und wieder finde ich es spannend, höre Neues. Jedoch spricht es nicht zu jedem Menschen gleich. Lüscher hatte nie Angst davor, zu polarisieren und seine Meinung sehr deutlich zu machen. Das hat ihm auch viele Gegner eingebracht. 

Gleichwohl, er hat stets gemeint, was er gesagt hat. Er hat selbstbestimmt gelebt. Kann ich das auch von mir selbst sagen?


Nachruf

Max Lüscher - Ein Pionier auf dem Gebiet der Emotionen

Von Sylvia Kirscht und Dr. Andreas Edelmann


Max Lüscher, durch seinen Farbtest der Öffentlichkeit bekannt als Schweizer Farbpsychologe oder «Farben-Papst», ist am 02. Februar 2017 im Alter von 93 Jahren in Luzern gestorben. Sein Leben galt bis zuletzt der Forschung. In unermüdlicher Hingabe untersuchte er den Zusammenhang zwischen dem inneren Erleben und seinem Bezug zur objektiven Realität sowie dem daraus sich formierenden subjektiven Ausdruck in allen Lebensbereichen. Er entwickelte ein kategoriales Denkmodell aus sechs Kategorien – direktiv - rezeptiv, konstant - variabel, integrativ - separativ –, mit denen die Emotionen und Motivationen und das daraus resultierende Verhalten beschrieben werden können.


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