Guter Espresso

Ich erinnere mich noch gut daran: Vor einigen Jahren saß ich vor meiner nagelneuen chromglänzenden Siebträgermaschine und war verzweifelt. Noch nie hatte ich derart ungenießbaren Kaffee getrunken – wofür nur hatte ich all das Geld ausgegeben? Erst Tage später stieß ich auf des Rätsels Lösung: Ein „Zweikreiser" hat nur einen Boiler, der aber zum Aufschäumen nicht hochgefahren werden muss, um Dampf zu produzieren. Viel mehr existieren auch bei einem Boiler zwei Kreisläufe, die zwei unterschiedliche Temperaturen produzieren, zum Brühen bei ca. 90 °C und zum Aufschäumen mit Dampf. Letzteres wird durch Zirkulationskanäle erreicht, die das Wasser aus dem Boiler etwas abkühlen, während sie die Brühgruppe aufwärmen. Nach einiger Zeit wird diese aber trotzdem zu heiß und das gibt dann schrecklich bitteren Espresso. 

Abhilfe schafft eine Spülung, die Wasser aus dem Tank oder der Leitung nachströmen lässt, ein sogenannter „cooling Flush“ (auch wenn ich nicht ganz sicher bin, warum es bei einer traditionell italienischen Technik gar so viele Anglizismen gibt). Jedenfalls hatte ich diesen viel zu kurz ausgeführt und das Brühwasser war zu heiß gewesen, der Espresso schmeckt verbrannt! Mit einer Dualboiler Maschine können zwei Temperaturen konstant gehalten werden und eine PID-Steuerung hält die Brühtemperatur auch bei Ein- oder Zweikreisern konstant, wodurch mir diese Erfahrung wohl erspart geblieben wäre!

Gekauft hatte ich die Maschine, weil ich des gedankenlosen Kaffeekonsums auf Knopfdruck mit dem Vollautomaten leid geworden war. Seinen Durst soll man mit etwas anderem stillen, aber Kaffee macht mehr Spaß, wenn man ihn auch etwas zelebriert! Erste Erfahrungen hatte ich bereits kurz nach dem Studium mit einer La Pavoni Handhebelmaschine sammeln können, ohne zu wissen, dass diese Maschine in einem der Filme auch von James Bond zelebriert wird – wenn auch falsch bedient. Hier hat man sämtliche Variablen bei der Espressozubereitung buchstäblich in der Hand und neben der Bohnenart, dem Anbaugebiet und deren Verarbeitung bis hin zur Röstung, sowie dem Wasser sind das:

  • Mahlgrad (und Mahlart)
  • Menge des Kaffeepulvers
  • Verdichtung beim „Tampen“
  • Brühdruck
  • Brühzeit

Warum „Wasser“? Weiches Wasser transportiert den Geschmack schlechter. Hier helfen ionisierte mineralische Bestandteile. Das konnte ich vor Kurzem ausprobieren, als mein Osmose-Wasserfilter seinen Geist aufgegeben hatte. Das extrem kalkhaltige Wasser unserer Gegend wollte ich meiner Siebträgermaschine nicht zumuten und verwendete daher vorübergehend Geroldsteiner natur Mineralwasser. Dass der Espresso damit erheblich runder geschmeckt hatte, merkte ich erst, als ich wieder auf gefiltertes Wasser umstieg!

Bei einer Maschine mit elektrischer Pumpe und voreingestelltem Brühdruck (= -temperatur) fällt einiges weg und man kann die Durchflussgeschwindigkeit noch mit dem Mahlgrad, dem Druck beim Tampen und der Menge des Kaffeepulvers regulieren. Wie kommt man da möglichst schnell auf den Punkt?

  1. Menge abmessen: Für einen Espresso braucht man 7-8 g gemahlenen Kaffee.
  2. Mahlgrad: Der Espresso soll in einem Strahl in der Dicke eines Mäuseschwanzes in die Tasse fließen – wer hat aber heute noch Mäuse zum Vergleich bei der Hand? Ein Tipp: der Schwanz einer Hausmaus ist dünn und gebogen. Ein Strahl, der gerade fließt, ist zu viel, einer, der sich in Tropfen zerteilt, zu wenig!
  3. Tampen: Eigentlich soll das Pressen des gemahlenen Kaffees im Sieb in erster Linie die Bildung von Kanälen verhindern. Kanäle sind Stellen im Kafeepulver, durch die das Brühwasser mit weniger Widerstand fließt.
    Probleme schafft man sich, wenn man vor dem Tampen das Kaffeepulver im Sieb ungleichmäßig verteilt hat und so den Puck an manchen Stellen stärker komprimiert, als an anderen, wenn man ihn schief tampt, sodass das Brühwasser durch die dünnere Seite strömt, oder wenn man nach dem tampen auf den Siebträger klopft und so einen Spalt zwischen Puck und Siebrand erzeugt, durch den das Brühwasser strömt. 
    Das Brühwasser soll viel mehr den gesamten Kaffeepuk gleichmäßig durchströmen. Damit es nicht am Rand des Puks vorbei strömt, presst man das Mahlgut dort eigens zusammen, indem man mit dem Tamper zunächst mit einer eiernden Bewegung die Peripherie komprimiert. Zum Schluss kommt der gerade Druck mit 10-15 kg ohne weiteres Klopfen. Bitte keine Tamper aus AluminiumMit einem bodenlosen Siebträger sieht man den Boden des Siebs und kann das beobachten: die Crema formt sich dann nur auf einer Seite, oder es spritzen gar dünne Strahlen heraus wie aus einer Düse, wenn sich Kanäle bilden!
  4. Brühzeit: 25-30 Sekunden.
Espresso

Crema nach 5 Minuten. Der Espresso sollte ängst getrunken sein, aber eine robuste Crema ist ein gutes Zeichen!

Nun kann man mit dem Faktor 2 und 3 noch etwas spielen. Manchmal ist es besser, etwas feiner zu mahlen und nicht gar so stark zu verdichten, manchmal schmeckt es gerade anders herum besser. Sobald es einem gelingt, etwas Konsistenz in den Vorgang zu bringen, erstaunt es, wie stark der Espresso in der Farbe und Konsistenz seiner Crema und – viel wichtiger – im Geschmack selbst auf kleine Variationen reagiert! 

Eine hellbeige Crema ist ein Zeichen der Unterextraktion – man wirft zusammen mit dem Trester Geschmackspotential in den Abfall! Je feiner man mahlt und fester man presst, desto dunkler wird die Crema. Bei vielen Bohnen kommt erst jetzt auch eine süße Geschmacksnote nach Schokolade zum Vorschein, die vorher in einem bitteren Geschmack versank, den man am liebsten mit Zucker überdecken würde. Trifft man es richtig, so braucht es diesen nicht!

Immer weiter kann man die Nuancen einspielen. Eine winzige Korrektur an der Mühle, ein paar Zehntel Gramm mehr oder weniger Mahlgut, dafür der Mahlgrad minimal grober oder feiner. Ist man mit dem Brühen fertig, sollte der Trester einen schönen Puk formen, keinen Schlamm im Sieb. Auch ob viel Wasser im Sieb stehen bleibt oder der Puk nur leicht feucht dampft, ist ein Zeichen, ob man das Optimum erwischt hat. Meist gehen als Nächstes die Bohnen aus und bei der nächsten Charge liegt dieser Punkt wieder etwas verschoben. Vor allem, wenn man Sorten wechselt, holt man am besten als Erstes wieder die Waage heraus und stellt sicher, dass man mit der Menge des Mahlguts noch im richtigen Bereich liegt!

Besser gelingen einzelne Shots u. U. mit dem LM-1 Sieb von La Marzocco, dass allerdings auch einen 41 mm Tamper benötigt.

Last not least zu den Kaffeebohnen selbst: Ich konnte weder im Super- noch im Großmarkt bisher geeignete Bohnen finden. Auch im Versandhandel ist es nicht leicht, sich in dem riesigen Angebot zu orientieren. Die erste richtig gute Bohne und Röstung kam mir zufällig unter, als ich am Rastplatz Irschenberg abfuhr und bei Dinzler einkehrte. Dort kann man auch Einiges im interessanten und kostenlosen Kaffeemuseum lernen und ich kaufte mir ein Kilo „Milano“. Der diente als Vergleichsstandard, bis ich auch bei lokalen Röstereien hervorragenden Kaffee gefunden hatte. Ein akzeptabler Kaffee weist keineswegs nur ein Haltbarkeitsdatum aus, sondern den Zeitpunkt der Röstung!

Ein simpler Anhalt ist, wenn statt des Datums der Röstung ein Haltbarkeitsdatum angegeben wird. Der Kaffee ist einige Tage nach der Röstung am besten, wenn er etwas CO2 abgegeben hat. Daher sollte er auch nicht luftdicht verpackt und erst unmittelbar vor dem Bezug gemahlen werden. Kaffeegenießer kaufen ihre Bohnen daher nie auf Vorrat, denn sie verlieren mit der Zeit immer mehr an Aroma. Für sie lohnt sich der Aufpreis, ihre Bohnen je nach Verbrauch zu kaufen, vielleicht nur pfundweise!

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