Herr M. sitzt vor seinem neuen Physiologic Artikulator: Keine Bennett-Einstellung, die Kondylbahnneigung fix und so flach, dass einem schwindelig wird. Die Artikulatorachse ungewohnt tief, das Oberteil verrückt hoch.
Na gut, probieren geht über studieren! Er hat seine eigenen Modelle eingegipst, also will er nun einmal diese allseitige Exzentrik ausprobieren. Aber was ist das? Bei der Protrusion im Artikulator bleibt er links am 8-er hängen, der nach mesial in die 7-er Lücke eingekippt ist! Dabei kann er doch in seinem Mund eine Protrusion durchführen und mit seinen Schneidezähnen Kontakt halten! Ist der Arti eine Fehlkonstruktion?
Dieser Artikulator wurde nicht mit dem Ziel entwickelt, Parafunktion nachzuäffen. Kann das sinnvoll sein?
Seit den 40-er Jahren (in Deutschland seit Anfang 1970) dichten wir dem Menschen eine Scharnierachse an, damit er in den Artikulator passt, den wir uns ausgedacht haben. Damit wir diese Scharnierachse finden können, muss der Kiefer des Patienten in der Regel nicht mit dessen eigener Kaumuskulatur bewegt werden, sondern vom Zahnarzt per Hand. Das, was wir im Artikulator darstellen wollen, verfälschen wir dabei gründlich und feiern es als Erfolg, wenn der Patient es schafft, sich daran zu gewöhnen. Inzwischen scheint uns dies so normal, dass viele sich eine andere „Denke“ gar nicht mehr vorstellen können!
Ziel bei der Entwicklung dieses neuen Artikulators war es, ein Instrument zu konstruieren, das uns die Herstellung möglichst störungsfreier okklusaler Arbeiten erleichtert. Hierfür muss der Artikulator lieber zu viele Störungen zwischen den Modellzähnen zum Vorschein bringen, als zu wenige. Und bei okklusalen Störungen geht es primär darum, diese gewiss nicht gelenknah zu setzen, also auf den hinteren Molaren.
Das einfachste Konzept für eine störungsfreie Okklusion, die dennoch eine stabile Abstützung des Unterkiefers gewährleistet, ist, im Seitenzahnbereich „Freedom in Centric“ zu gestalten und dabei die „Point Centric“ mit den Eckzahnkontakten zu definieren. Auf geneigten Kontaktflächen also, aber gelenkfern.
Für die präzise Gestaltung der Eckzahnkonturen ist eine exakte Übertragung der Bezugsebene unerlässlich, was wir mit dem HIP-Mount erreichen. Dabei positionieren wir die Modelle so zur Artikulatorachse, dass die Modellzuordnung bei vertikalen Veränderungen im Artikulator dem habituellen Bewegungsmuster entspricht, nicht einem künstlich manipulierten.
Wie nun die Disklusion der einzelnen Seitenzähne im Artikulator gesteuert wird, das hängt von zwei Faktoren ab:
1.Der posterioren Steuerung (Kondylbahnneigung, HCN)
2.Der anterioren Steuerung, entweder an den Frontzähnen oder am Stützstift.
Wollen wir eine sequentielle Höckerneigung umsetzen, die nach posterior, also mit zunehmender Nähe zu den Gelenken, flacher wird, so können wir unseren Artikulator so einstellen, dass er uns dabei optimal hilft. Würden wir uns z.B. an den 7-ern eine Höckerneigung von 20° wünschen, die Schneidezähne führen aber mit 55°, so könnte der Artikulator dies bei einer HCN-Einstellung von 20° nur dann bewerkstelligen, wenn sich die 7-er unter den Artikulator-Kondylen befänden. Vorausgesetzt, wir verwenden die Okklusalebene als Referenz. Bei anderen Bezugsebenen, die in einem Winkel zur Okklusalebene stehen, wird es sofort erheblich unübersichtlicher.
Jedoch werden wir die Modelle nie so im Artikulator anordnen, dass die 7-er unter den Kondylen stehen. Im Gegenteil, wenn wir vertikal im habituellen Bewegungsmuster bleiben wollen, werden wir sie deutlich anterior dazu stellen. Dort würde sie der Artikulator aber mit erheblich mehr als 20° diskludieren. Also brauchen wir eine geringere horizontale Kondylbahnneigung. Im Physiologic Artikulator sind es 0°.
Für manche Fälle vielleicht ein wenig zu flach, deswegen „stolpert“ Herr M. im Artikulator über seinen gekippten 8-er. Er zeigt eine potentielle Störkontur deutlicher auf, als sie im Mund in Erscheinung tritt. Ziel ist es nämlich zunächst nicht, irgendwelche Parafunktionsfacetten im Artikulator nachzufahren. Dafür bräuchten wir alternative Kondylbahneinsätze, die später noch erhältlich werden sollen. Zuerst soll mit dem neuen Artikulator statt dessen eine Hilfestellung bei der Gestaltung einer Okklusion erfolgen, die mit möglichst hoher Sicherheit nicht stört. Um wie viel sie nicht stört, ist dabei ziemlich unerheblich, denn zum Thema „Parafunktion“ und „Bruxismus“ bietet die neuromuskuläre Funktionslehre sowieso noch ganz andere Denkansätze.
Jedoch muss man nun sicher stellen, dass diese im Artikulator überdeutlich dargestellte Okklusionsstörung am 8-er nicht zur Führung wird, in deren „Schatten“ man Kauflächen anderswo exzentrisch überkonturiert. Daher sollte in diesem Fall die Störung am 8-er Gipszahn einradiert werden, bis die gewohnten Frontzahnkontakte wieder darstellbar sind. Dann kann man seine Seitenzahnokklusion in Ruhe gestalten - lieber ein wenig zu flach, als ein wenig zu steil, denn dann steigt die Chance, dass sie im Mund auf Anhieb passt.