FreeBite solid

Ein Bissregistrat so lange optimieren, bis es exakt passt, statt unter mehreren das am wenigsten missratene auswählen zu müssen. Das Registrat testen können, als sei es schon die Schiene. Das waren die Wunschvorstellungen bei der Entwicklung des FreeBite solid.

Wir hatten so etwas Ähnliches schon einmal, als wir vor vielen Jahren unsere Myozentrikregistrate mit einem Kunststoff namens „Myoprint“ erstellten. An diesem Kunststoff konnte man antragen, man konnte ihn beschleifen und das Registrat verbessern, bis es perfekt war. Und es härtete vollständig aus, was eine ganz andere Kontrolle im Mund ermöglichte, als dies bei Wachsen und Silikonen möglich ist. Wie eine vorweg genommene Schiene. Aber das Metacrylat hatte einen scheußlichen Geschmack und wurde schließlich von den Patienten nicht mehr toleriert.

Der FreeBite solid hat zwei Aufbisse aus einem speziellen thermoplastischen Kunststoff, der völlig geschmacksneutral ist. Er kann so oft durch Erwärmen in heißem Wasser wieder plastisch gemacht werden, wie nötig, um das perfekte Bissregistrat „festzunageln“. Wenn etwas nicht ganz stimmt, braucht man nicht mehr von vorne anfangen, sondern korrigiert lediglich die Unstimmigkeit. 

Kurzes Eintauchen in heißes Wasser schmilzt nur eine hauchdünne Oberflächenschicht an, so dass kleine Frühkontakte korrigiert werden können. Und die spürt der Patient, denn bei Mundtemperatur ist der Kunststoff hart und vermittelt ein ähnlich hartes Kontaktgefühl, wie natürliche Zähne. Etwas länger in das heiße Wasser getaucht und man kann das Registrat im Mund ein wenig absenken. Es hieß ja schon immer, der Mund sei der beste Artikulator!

Beide Kunststoffaufbisse sind mit einem dünnen, nickelfreien Edelstahldraht verbunden, der als Griff dient und den man mit leichtem Fingerdruck so zurechtbiegen kann, dass die Aufbisse richtig auf den Zahnreihen liegen. 

Das Abkühlen kann durch Eintauchen in kaltes Wasser erheblich beschleunigt werden, so dass man zügig arbeiten kann. Bei Bedarf arbeitet man die Oberfläche etwas aus und schafft Bewegungsfreiheit, dann kann man dem Patienten den FreeBite solid zum Probetragen mit nach Hause geben und er hat sofort einen temporären Bissbehelf. Sobald bestätigt ist, dass der Biss gut funktioniert, artikuliert man die Modelle mit dem FreeBite solid und hat gleichzeitig eine wertvolle Kontrolle: Passt er akkurat im Mund, aber die Modelle schaukeln darauf, so liegt ein Modellfehler vor, den man besser gleich aufdeckt, als später, wenn aufwändige Laborarbeiten auf einem fehlerhaften Modell erstellt wurden!

Im Grunde kann jede beliebige Bissnahmetechnik mit dem FreeBite solid durchgeführt werden. Jedoch bin ich kein Freund von Manipulationen am Unterkiefer des Patienten durch den Zahnarzt. EMG-Messungen zeigen schnell, dass man dadurch die Muskulatur des Patienten nicht zur Ruhe bringt, sondern im Gegenteil zusätzliche Verspannungen induziert. Auch halte ich es für einigermaßen naiv, zu glauben, dass wir mit unseren Händen den Unterkiefer eines Patienten wirklich präziser bewegen können, als ihm dies mit seiner eigenen Muskulatur möglich ist. Und schließlich verbleibt die Tatsache, dass, egal wie eine Bisslage gefunden wird, am Ende des Tages der Patient es ist, der diese mit seiner eigenen Muskulatur bedienen muss. Je leichter ihm dies fällt, je weniger er dabei ausweichen und kompensieren muss, desto besser!

Jedoch sind diese „freihändigen“ Bissnahmen nicht Jedermanns Sache. Mein Vater, in seiner letzten Epoche ein großer Verfechter der Myozentrik, hatte selbst seine Probleme damit, dieses Gefühl der Kontrolle aufzugeben, das entsteht, wenn man den Patienten anfassen und Bewegungen in irgendwelche Bahnen lenken kann. Jedoch ist diese gefühlte Sicherheit eine Illusion. Die Hand des Zahnarztes ist nicht eingebunden, in die Reflektorik, welche die Kaumuskulatur des Patienten steuert. Er ist dem sensorischen Feedback im Patienten gegenüber völlig taub und die Tatsache, dass es dem Patienten meist dennoch gelingt, mit seinem anpassungsfähigen Kausystem eine solch fremde Bisslage zu bedienen, ist kein Beweis dafür, dass dieses Vorgehen sinnvoll ist.

Des Rätsels Lösung ist die Vorbereitung. Statt quasi im Blindflug in eine Bissnahme zu gehen und zu akzeptieren, was auch immer dabei heraus kommt, hat man vorher schon studiert, was sich im Zahnbogen verschoben haben könnte. Man hat geprüft, wie sich Kompensationen lösen, wenn der Patient nicht länger eine punktgenaue Abstützung auf seinen Zähnen mit den dafür notwendigen Kompensationen einnehmen muss, sondern, wenn diese Abstützung an jedem beliebigen Ort auf einem FreeBite air oder balance gefunden werden kann. Man hat beobachtet, wie sich die Befindlichkeit des Patienten dabei ändert. Man kennt also den Vergleich zwischen der kompensierten Kieferhaltung mit verspannten Muskeln und meist komprimierten Kiefergelenken und der Situation, wenn solche Verspannungen und Kompressionen gelöst sind. Man kennt die Position, in der sich der Unterkiefer des Patienten dann immer wieder einstellt und weiß auch, wie groß die Fluktuationen dabei sind. Bei der Bissnahme geht es dann nur noch darum, diesen bereits bekannten Zustand fehlerfrei abzugreifen. 

Der Unterschied in der Erwartungshaltung entspricht in etwa dem zwischen der Hoffnung auf einen „Goldenen Schuss“ bei der Bissnah-me und der Bereitschaft, die Zielposition Schritt für Schritt zu verbes-sern, bis am Ende der Pfeil im Zentrum der Scheibe steckt. Die Frage ist, für was dieses Zentrum stehen soll. Nach meiner Definition ist dies nicht eine bestimmte Stellung der Kiefergelenkkondlyen (die durch das so genannte „Remodeling“ u. U. erheblichen Formverän-derungen unterliegen) in der Fossa, auch nicht eine bestimmte Stel-lung einer postulierten „Scharnierachse“, sondern eine optimale Funktion, bei der die Kaumuskeln mit bestmöglicher Symmetrie arbeiten können und in Ruhephasen wieder optimal entspannen.

Daher möchte ich im folgenden Beitrag zwei Methoden vorstellen, wie man mit dem FreeBite System auf ziemlich einfachem und sicherem Weg zu Bisslagen gelangt, welche dieser Zielsetzung entsprechen.


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