Bogenschießen hatte ich schon mal. Vor 10 Jahren wollten es meine inzwischenen erwachsenen Söhne ausprobieren und verloren nach ein paar Wochen die Lust daran, auf Scheiben zu schießen. Visier, Balancer, Clicker und was nicht alles - das wird schnell recht technisch und fokusiert auf möglichst hohe Konstanz. Da mich Technik schnell begeistert, widmete ich mich dem Tuning meines neuen Recurve Bogens: Nockpunkt, Standhöhe, Tiller usw., bis die Pfeile sauber und gerade in der Scheibe steckten. Irgendwann schlief das Projekt dann aber ebenfalls ein.
Jetzt kommt mein Jüngster und will instinktiv Bogenschießen. Was ist das?
Hier wird ohne Visier geschossen. Beim ersten Schuss hatte ich keinen Plan und habe mir gleich einen nagelneuen Carbonpfeil am Scheibenhalter zersplittert. Wie soll man ohne Visier etwas treffen?
Naja, Basketball habe ich auch gespielt und dabei mit dem Ball nach dem Korb geworfen. Auch ohne Visier. Also „instinktiv“. Als Bub habe ich oft mit Steinen auf Dosen geworfen - auch instinktiv. Man hat es nur nicht so genannt. Wenn man Darts auf eine Scheibe wirft, denkt auch niemand an ein Visier. Wie steigt man ein, ohne sich lauter Pfeile kaputt zu schießen? Hier mein Weg:
Man stelle sich ganz nahe an die Scheibe. So nahe, dass man auf jeden Fall „weiß“, wohin der Pfeil treffen wird. Nach ein paar Schuss vergrößert man schrittweise die Distanz, aber jeweils nur so, dass man noch immer weiß, wohin man treffen wird. Nach einiger Übung kann das bis auf 40 Meter und mehr gehen! Jedoch wird man bald merken, dass eine gewisse Standardisierung von Abläufen hilfreich ist. Gerade so, wie es beim Freiwurf mit dem Basketball der Fall ist. Das muss nicht unbedingt immer so sein, auch im Basketball wirft man oft aus den verschiedensten Situationen und Körperhaltungen heraus - und trifft hoffentlich trotzdem. Aber wenn man sich schon Zeit für den Wurf nehmen kann, ist es von Vorteil, die Variablen zu reduzieren.
Ditto beim Bogenschießen. Es hilft, eine bestimmte Körperorientierung zum Ziel beizubehalten. Steht man seitwärts, kann man den Bogen am leichtesten und weitesten ausziehen. Wohin zieht man aus? Zum „Ankerpunkt“. Zum Beispiel, bis man mit dem Grundgelenk des Daumens immer wieder die gleiche Stelle am Gesicht berührt. Oder mit einem bestimmten Finger bis zum Mundwinkel. Oder, am sichersten wiederholbar, ein „Multi-Punkt-Anker“, bei dem sowohl ein Finger am Mundwinkel ist, als auch z. B. das Daumengrundgelenk unter dem Jochbein.
Extrem wichtig ist das Loslassen des Pfeils. Man kann die Sehne nicht wirklich freigeben, denn man kann unmöglich die Finger schneller öffnen, als die Sehne beschleunigt. Also ist es wichtig, beim Loslassen die Sehne nicht abzulenken. Das geht nur, wenn man die Zugspannung nicht durch Ziehen oder Drücken mit den Armmuskeln aufrecht erhält, sondern mit den Muskeln zwischen den Schulterblättern. Der Arm sollte dabei eher schon passiv an der Sehne hängen, nur die Sehnenfinger formen einen Haken, wodurch die Sehne nicht aus kann. Und dann werden die Finger plötzlich schlaff.
Hat man diese Abläufe standardisiert, so dass sie keine Variablen mehr bilden, ist der Rest Übungssache. Als kleiner Bub habe ich bestimmt Tausende von Steinen geworfen, bis ich nach einigen Jahren einigermaßen zielsicher war. Dabei geht es ja auch um das Einschätzen von Distanzen und Flugbahnen, so, dass man nicht länger darüber nachzudenken braucht. Hoffentlich geht es beim instinktiven Bogenschießen etwas schneller! Aber auf 20 Meter eine schön enge Gruppe geschossen zu haben, so ganz ohne Visier, das ermuntert mindestens ebenso, wie damals, als die rostige Dose endlich vom Stein getroffen vom Zaun fiel!
Mit noch wesentlich mehr Übung kann man Zielsicherheit auch ohne eine feste Form erreichen. Vergleichbar ist das mit dem Werfen eines Steines über- oder unterhand. Mit genug Übung trifft man bei beiden Würfen, die Komplexität des Problems steigt nur stark an, je weniger Faktoren konstant gehalten werden. Das demonstriert eindrucksvoll der Däne Lars Anderson in seinem viel diskutierten, aber kurzweiligen Video „a new level of archery“.